Laudatio für Simone Grawe


anlanlässlich der Vergabe der Ehrenmitgliedschaft der pcaSuisse an der Mitgliederversammlung vom 21.11.2020


An einem 2-tägigen Ausbildertreffen sassen wir zu dritt - Philippe Dafflon, Simone und ich abends lange zusammen und erzählten von uns. So erfuhren wir, was wir so nicht wussten:


Simone, geboren 1940 als Deutsche Staatsangehörige in der Tschechischen Republik; Tochter eines Juristen und einer Lehrerin. Unter der Wohlbehütetheit der ersten Jahre lauert die Unsicherheit und die Bedrohung des schrecklichen Krieges. Ein Schulbesuch ist nicht möglich, stattdessen folgt die Odyssee durch verschiedene Flüchtlingslager mit Mutter und Schwester. Der Vater ist „im Krieg“. Viele Umzüge - Ostdeutschland, Westdeutschland, Süddeutschland; umziehen wird Programm. In Stuttgart (späterer Wohnort von Prof. Tausch mit seiner Tochter) stabilisieren sich die Verhältnisse. Der Vater ist wieder da und führt eine Anwaltskanzlei.

Sie selber fühlt sich privilegiert, schon durch den Bildungshintergrund des Elternhauses. Studieren ist selbstverständlich. Sie will etwas Sinnvolles, etwas Wesentliches mit ihrem Leben machen, das heisst: Eintreten für die Rechte von weniger Privilegierten. Sie denkt das zu tun als Juristin, als Ärztin, als Journalistin. So wird ihr erster Studienort Wien mit den Fächern Zeitungswissenschaften und Romanische Sprachen. Es tritt ein Mann in ihr Leben, ein Medizinstudent, und das erste Kind wird im zweiten Semester geboren. So ist erst einmal ausstudiert. Es ist 1960. Die beiden Jung-Eltern sind finanziell voll abhängig von ihren Eltern. Er darf weiterstudieren, muss weiterstudieren, für sie heisst es „nach Hause kommen, Kind gross ziehen“.

Als die Tochter in die Schule kommt, der inzwischen geborene Sohn wohlbetreut ist von einer Nachbarin, die Familie nach weiteren Umzügen in Hamburg lebt, ist die Chance da für das heiss ersehnte weitere Studium. Medizin muss verworfen werden wegen der berüchtigten 80-Stunden-Woche der Mediziner damals. Geht nicht mit 2 Kindern. Was geht? Erziehungswissenschaften und Psychologie. Sie studiert beide Fächer parallel, sie will sich beeilen, sie muss sich beeilen, denn sie ist inzwischen alleinerziehend, und irgendwo muss auch Geld herkommen. Ende 1973, nach 13 Semestern sind die Diplome eingefahren: Lehramt für Volks- und Realschulen, Diplompsychologin mit den Therapieausbildungen in Personzentrierter Therapie und Verhaltenstherapie. „GT“ bei Prof Tausch,“ VT“ bei Bastine. Wieder ein Privileg: Man kann die Therapieausbildung direkt an der Uni machen.


Erste Arbeitsstelle ist die Universität Hamburg, die Studentenberatungsstelle, mit den Aufgaben Lehre, Forschung, Therapie und - als Preis für eine derart begehrte Stelle -  „Studienberatung“, also die Zahlen des Numerus Clausus für jedes Fach auswendig wissen und herunterbeten.


6 Jahre Uni Hamburg, dazwischen fällt die Eheschliessung mit Klaus Grawe, damals wie sie Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni HH. Dazwischen fällt die Geburt der Zwillinge Julia und Tom, und ein gutes Jahr später die Geburt des Nesthäkchens Philipp.

Klaus Grawe übernimmt 1979 den Lehrstuhl für Verhaltenstherapie in Bern, und die 7-köpfige Familie nimmt Wohnsitz in Bern.  

Natürlich hat Simone an der Uni Hamburg ihre Doktor Arbeit angefangen. Sie hat sie noch in Hamburg durchgeführt, ausgewertet in langen Nächten im Rechenzentrum Hamburg. Geschrieben wird dann in Bern, nächtelang, wenn die 3 „Kleinen“ im Bett sind, oder wenn sie sich ihren Schlafplatz unter dem Arbeitstische der Mama einrichten.

Sie ist auch bis heute eine engagierte, verständnisvolle und geduldige Mutter für ihren behinderten, erwachsenen Sohn Tom und pflegt den Kontakt zu ihren 4 anderen erwachsenen Kinder und Grosskinder.


Nach einer eher unerfreulichen Epoche an einer medizinisch orientierten Forschungsstelle an der Insel in Bern - Reizwort ist „emanzipatorische Forschung von Holzkamp“ wird sie ins Home Office verdammt.  Die Rettung kommt in Form einer Ausbildungsstelle an der Praxisstelle Bern mit den Aufgaben Lehre, Forschung und Therapie - diesmal ohne Studienberatung. Eine Traumstelle.

Klaus Grawe als überzeugter Verhaltenstherapeut und Simone Grawe als überzeugte Gesprächstherapeutin. Konnte das gutgehen? Nach 6 Jahren in Bern kommt es zur Trennung. Schlimm.

Aber beruflich bedeutet es Glück: Eine gutgehende Praxis in der Altstadt von Bern, Lehraufträge an diversen Ausbildungsinstituten, Ausbildungstätigkeiten bei der SGGT, heutige pcaSuisse.

Grundausbildungen in Psychotherapie und Beratung in beglückender Zusammenarbeit mit Leitenden und Co-Leitenden (Peter Klingenbeck, Bea Amstutz). In dem kleinen Schulhäuschen in Nuvilly (kleine Ortschaft im Freiburger Broyebezirk) haben allein 10 Beratergruppen gehaust, gekocht und gelernt.

Ausbildungen, Basistrainings in Psychotherapie, Selbsterfahrung in Psychotherapie; vielleicht gibt es noch einige, die sich an Nuvilly erinnern.


Die Ausbildungsarbeit - vor allem für die Wahl-Seminare -verlagert sich nach Südfrankreich.

In kleinen Grüppchen empfangen, beherbergt und bekocht vom neuen Partner Urs Rüfenacht, beschäftigten sich die Teilnehmenden intensivst mit den unterschiedlichsten Themen:

„Literarische“ Themen wie

-       die vielen Gesichter der Scham

-       der Sprache Flügel verleihen

-       der eigenen Biografie einen Sinn geben

-       Das Verrückte in Dichtung und Film

-       Visionen sichtbar machen.

Aber auch handfestere, wissenschaftliche Themen wie

-       Umgang mit Borderline-Störungen

-       Umgang mit Schmerz

-       Gruppenpsychotherapie

u.a. Themen werden dort intensiv behandelt.


Die Begeisterung für das Unterrichten, für das Weitergeben von Wissen, und vor allem das Vorleben der Haltung war Simones vorrangiges Anliegen. In ihrem lockeren Auftreten, mit ihren roten, langen Haaren, wirkte sie auf mich wie eine gute „Zauberhexe“.


Die Jahre der Krankheit ihres Partners machen die Arbeit in Südfrankreich nicht mehr möglich. Urs starb leider 60-jährig im Oktober dieses Jahres an Krebs.


Simone war von 2006 bis im Sommer 2019 auch Mitglied der pcaSuisse Weiterbildungsleitung. Sie war mit mir und verschiedenen anderen Ausbilder*innen Koordinatorin des Ausbildertreffens Deutschschweiz und hat dabei mehr als 12 Jahre dieses Treffen vorbereitet und mit moderiert.

In diesen Aufgaben war sie initiativ, zuverlässig, engagiert, unkompliziert im Umgang, voller Ideen. Sie war auch engagiert bei der Erarbeitung unseres Qualitätskonzeptes und eine grosse Hilfe bei den Vorbereitungsarbeiten für die Akkreditierung unserer Weiterbildung in Psychotherapie beim BAG 2017.

Simone hatte auch viele Kontakte mit den Romands in der pcaSuisse. Sie arbeitete bis vor Kurzem am Samstagmorgen in Vevey in der Praxis von Olivier Siegenthaler und war ein sehr bereicherndes Mitglied des französischsprachigen Ausbilderqualitätszirkels, wo sie ihre reichen Erfahrungen mit uns teilte.


Was mich bei Simone immer beeindruckte, war ihre Offenheit, die Ehrlichkeit, Grosszügigkeit, ihre freundschaftliche Art, ihre Energie mit der sie neue persönliche Projekte, auch über das Pensionierungsalter hinaus, anpackte. Sie hat zum Beispiel Filmdrehbücher geschrieben, z.B. über eine rumänische Trompetenspielerin ( die Geschichte spielt sich in Sudfrankreich);  im Sommer dieses Jahres hat sie im Karate mit schwarzen Gürtel den 2ten Dan gemacht.


Die jähe Krankheit, diesen Sommer ausgebrochen, von Simone Grawe beendet jetzt alle Arbeit.

Sie hätte alles sehr gerne noch lange weitergemacht.


Simone, wir danken Dir von ganzem Herzen für Deinen unermüdlichen Einsatz für unseren Verein und für die glaubwürdige Verbreitung des personzentrierten Ansatzes in der Schweiz und freuen uns, Dich zum Ehrenmitglied unseres Vereines pcaSuisse zu ernennen.

Ich danke Dir persönlich für Deine Freundschaft.



Philippe Wandeler 15.11.2020

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