Laudatio für Hildegard Steuri, 1924-2015


als Nachruf, verfasst von Dora Iseli Schudel im Journal 2015 / 13

Die Ehrenmitgliedschaft erhielt Hildegard Steuri an der Mitgliederversammlung 2007



Vor allem ältere Kolleg*innen  werden sich lebhaft an Hildegard erinnern: seit Beginn der Achtziger- und in die Neunzigerjahre hinein war Hildegard SGGT- Vorstandsmitglied, unermüdliche pca-Institutspromotorin trotz Rückschlägen, engagierte MV-Teilnehmerin. Hildegard setzte sich bereits bevor es die Beraterausbildung gab in Wort und Tat für den zweiten Zweckartikel der pca-Gesellschaft ein: die Verbreitung der Rogers’schen Grundhaltungen auch in andern gesellschaftlichen und beruflichen Bereichen als der Psychotherapie.


Sie lebte bis zuletzt persönliche Integrität, unvoreingenommene zwischenmenschliche Anteilnahme und Respekt anders Denkenden gegenüber. Sie war Teilnehmerin, vor allem aber auch Facilitatorin unzähliger Encountergruppen – sowohl in Sornetan/Schweiz mit Peter Klingenbeck, in Deutschland mit Reinhard Tausch und am Center for Studies of the Person (Rogers Institut) in La Jolla/Kalifornien, wo sie nach ihrer Pensionierung oft die Sommermonate verbrachte. Für sie waren Encountergruppen die zentrale Errungenschaft des pca, um vertieft Verbundenheit mit andern zu erfahren, Freundschaften aufzubauen und zu pflegen. Die Selbsterfahrung in der Begegnung von Person zu Person, die Ich-Du Beziehung (M. Buber), in welcher Rollen-, Status- und Altersunterschiede bedeutungslos wurden, erlebte sie als erfrischend und befreiend. Sie genoss es, in manchen dieser Gruppe auch das geschätzte, blitzgescheite, oft unbefangen direkte ‚enfant terrible’ zu sein. Genauso gut konnte sie aber auch schweigen, zuhören und verstehen wollen, wie die Welt für die oder den andern aussah.


Von ihren La Jolla-Aufenthalten hat Hildegard aus der Rogers-Bibliothek zahlreiche Video- Tapes mitgebracht, die ohne sie heute nicht in der schweizerischen pca-Videothek stehen würden.


Hildegard verbrachte ihre ersten zehn Lebensjahre im Tessin. Nach der Matur in Luzern wurde sie Kranken- danach Operationsschwester, u.a. in Genf und in England. Sie schreibt in ihrem Lebenslauf: „Da ich zuhause zweisprachig aufgewachsen bin, ist mir die Freude an den Sprachen geblieben, so dass ich mich zeitlebens beinahe mühelos mündlich und schriftlich in deutscher, französischer und englischer Sprache ausdrücken konnte.“


Als Lehrerin für Krankenpflege, zunächst am Lindenhof Bern, später an der Pflegefach- und Kaderschule in Zürich habe sie sowohl eine gute Lehrerin / (personzentrierte) Lernbegleiterin sein wollen, als sich auch für eine, mit ihren eigenen Worten „gute, gediegene und intelligente Krankenpflege einsetzen“ wollen.

„Gediegen“ - ein aus der Mode gekommenes Wort - mag auch eine treffende Charakterisierung von Hildegard selbst sein.


Im Alter von 48 entschied sie sich für ein Pädagogik- und Psychologiestudium an der Universität Zürich neben einem halben Arbeitspensum an der Kaderschule für Krankenpflege - „die schönsten, spannendsten, aufregendsten Jahre meines Lebens“. Ihr Dissertationsthema lautete: „ Der klientenzentrierte Ansatz in der Ausbildung von Lehrerinnen für Krankenpflege“. Das war ihr berufliches Herzensanliegen noch bevor die Encountergruppen für sie zu einem eigentlichen (Er)-Lebensmittelpunkt wurden.

Autonomie - verstanden als ein Höchstmass an Selbstbestimmung in jeder Lebenslage - war Hildegard zentral. Unermüdlicher Fleiss und Arbeitseinsatz solange es ihre Gesundheit erlaubte, darüber hinaus Selbstdisziplin, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit blieben ihr notwendige Voraussetzungen für das Privileg der Selbstbestimmung. So absolvierte sie etwa auch noch im achten Lebensjahrzehnt mit Selbstverständlichkeit ihr wöchentliches Fitnessprogramm. Ausgedehnte Bergwanderungen gehörten genauso zu ihrer Lebensgestaltung wie die geliebten Opernbesuche.


Die letzten neun Lebensjahre verbrachte sie in Bern, wo sie liebevolle Unterstützung durch ihre ehemalige Kaderschülerin Heidy Pfammatter und andere in Anspruch nehmen durfte und an ihrem 91. Geburtstag starb. Sie  fasste ihre eigene Todesanzeige in Ich-Form ab und brachte darin ihre Dankbarkeit für erfahrene Liebe, Verbundenheit und Geborgenheit zum Ausdruck. Selbstbestimmung und Bezogenheit blieben ihr auch hier bis zuletzt unabdingbar.

Was mir an Hildegard besonders lieb war: ihre Geradlinigkeit und unbefangene Direktheit, ihre Offenheit verschiedensten Lebensstilen gegenüber, ihre Unbestechlichkeit durch Sozialstatus und Machthierarchien. An so manchen Vorstandssitzungen und Mitgliederversammlungen konnte sie schweigen, bis sie Substantielles beizutragen hatte. Wo immer es ihr möglich war, arbeitete sie bereitwillig mit an der Umsetzung von Ideen und scheute dabei keine Mühe. Sie dachte prägnant, klar, realitätsbezogen und bewahrte doch ein feines Gespür für die in Sachdiskussionen mitschwingenden Gefühlsnuancen. Ihre Sympathien galten immer der Authentizität des Gegenübers.

Sie scheute sich nicht vor klaren Abgrenzungen, genauso wie sie auch Nähe zulassen konnte.


Bei meinen letzten Altersheimbesuchen betonte Hildegard immer wieder, wie zutiefst zufrieden und dankbar sie sei für ihr einzigartiges Leben, das sie so und nicht anders - für sie stimmig und von ‚personal power’ geprägt - habe leben dürfen. Unsere Fachgesellschaft hat mit ihrem Tod ihr einziges und einmaliges Ehrenmitglied verloren. Die Ehrung  galt einerseits Hildegards selbstlosem, unermüdlichen Arbeitseinsatz. Sie war aber ebenso Ausdruck dafür, wie sehr wir Hildegard als originell-markante, warmherzige Persönlichkeit wahrgenommen, geschätzt und gern gehabt haben.

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